HAZ, 20. Juli 2004  
     
  Hitlers Rache traf sogar Säuglinge  
     
  In Bad Sachsa waren die Kinder der Verschwörer des 20. Juli interniert  
     
 

VON HEIDI NIEMANN
BAD SACHSA

Das missglückte Attentat vom 20. Juli 1944 hatte nicht nur für den Kreis der Verschwörer dramatische Folgen. Die Nationalsozialisten übten auch an deren Familienangehörigen Rache und nahmen sie in Sippenhaft. Dabei spielte ein früheres Erholungsheim für Arbeiterkinder in Bad Sachsa im Südharz eine besondere Rolle: Während die Ehefrauen und älteren Kinder der Männer des 20. Juli in Strafanstalten und Konzentrationslager kamen, internierte die Gestapo die jüngeren Kinder in das zwischenzeitlich vom NS-Gau Weser-Ems genutzte Heim im Borntal am Rande von Bad Sachsa. Für insgesamt 46 Kinder wurden die im Schwarzwaldstil gebauten idyllischen Häuschen zum Gefängnis. Monatelang lebten sie dort unter strenger Bewachung abgeschottet von der Außenwelt. Die jüngste Gefangene Dagmar Hansen war gerade erst zehn Tage alt, als sie nach Bad Sachsa gebracht wurde. Der älteste war der 15-jährige Wilhelm Graf von Schwerin.

Mit der streng geheim gehaltenen Internierung der Kinder verfolgten die Nationalsozialisten ein perfides Ziel: Die Kinder von Stauffenbergs und den übrigen Verschwörern sollten ihrer Identität beraubt werden. Sie mussten beim Eintreffen im Heim alle persönliche Dinge abgeben: "Mein Geld und alle meine Schreibsachen waren mir genommen worden. Ja, selbst die Bilder von Vater und Mutti habe ich nie wieder gesehen", berichtete späte Christa von Hofacker. Die 13-jährige Tochter Cäsar von Hofackers, einer der führenden Köpfe der Verschwörung beim Militärbefehlshaber West in Paris, war gemeinsam mit zwei Geschwistern nach Bad Sachsa verschleppt worden.

Um die Erinnerung an ihre Eltern auszulöschen, erhielten die Kinder neue Namen. Die Stauffenberg-Kinder mussten den Namen Meister tragen.

Nach dem Plan der Nationalsozialisten sollten die jüngeren Kinder von SS-Familien adoptiert werden, die älteren dagegen in NS-Erziehungsanstalten kommen. Tatsächlich durften eine Reihe von Kindern schon nach einigen Monaten wieder zu ihren Familien zurückkehren. Ostern 1945 sollten die noch verbliebenen 18 Kinder ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert werden. Ein Wagen der Wehrmacht sollte sie zum Bahnhof nach Nordhausen bringen. Er kam mit Verspätung, und das rettete den Kindern das Leben: Kurz vor der Ankunft in Nordhausen gerieten sie in einen Bombenhagel, bei dem der Bahnhof völlig zerstört wurde. Die Kinder wurden deshalb zurück nach Bad Sachsa gebracht.

Als die Front näher rückte räumte die Wehrmacht im April 1945 das Heim. Einen Tag später zogen US-Soldaten in Bad Sachsa ein. Als neuen Bürgermeister setzten die Amerikaner den SPD-Mann Willy Müller ein. Dieser hatte schon einige Zeit vorher von den dort internierten Kindern und deren Herkunft erfahren. Eine seiner ersten Amtshandlungen war ein Besuch im Borntal, wo er sich von der Identität der Kinder überzeugte und einen Eindruck von ihrer Lage verschaffte. Vor allem diese Sätze seiner Ansprache blieben den Kindern im Gedächtnis: "Jetzt heißt ihr wieder so wie früher, ihr braucht euch eurer Namen und Väter nicht zu schämen, denn sie waren Helden!" Anfang Juni 1945 kehrten schließlich die letzten Kinder zu ihren Familien zurück.

Später war in dem Heim ein Kinderkrankenhaus untergebracht. In den neunziger Jahren stand es lange leer, heute befindet sich dort ein Campingplatz. Nichts deutet auf die Geschichte der Häuser hin. Der Betreiber ist mürrisch, dass in diesen Tagen Journalisten dort auftauchen. "Die Camper hier wissen nichts von dieser Geschichte", meint er.

Anlässlich des 60. Jahrestages des 20. Juli 1944 lädt der Landtag für den heutigen Donnerstag zu einem Festakt in den Plenarsaal ein. Die Hauptrede hält der frühere Erste Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi. Beginn ist um 18 Uhr.

 
     
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