HAZ, 1. Juli 2008  
     
  Eine 3500 Jahre alte Verwandschaft  
     
  Ein Katasteramtsmann und ein Berufsschullehrer stammen von Harzer Höhlenmenschen ab  
     
 

VON HEIDI NIEMANN

Förste. Gibt es heute noch direkt Nachfahren einer Bronzezeitfamilie, deren Skelette vor 27 Jahren in der Südharzer Lichtensteinhöhle gefunden wurden? Diese Frage hat monatelang Forscher der Universität Göttingen und auch viele Menschen im Südharz beschäftigt. Rund 300 Menschen nahmen deshalb Anfang 2007 an einem spektakulären Gentest teil. Die gentechnische Untersuchungen der Göttinger Anthropologen ergaben, dass zwei Männer, die damals ihre Speichelprobe abgaben, von Mitgliedern der Bronzezeitfamilie ab stammen. Jetzt wurde auch das Rätsel um ihre Identität gelüftet: Ein Berufsschullehrer und ein Mitarbeiter des Katasteramts Osterode sind die Nachfahren der prähistorischen Südharzbewohner. Sie gehören damit zur längsten bekannten Stammbaumlinie der Welt.

Die beiden Nachfahren leben in de gleichen Region, in der auch schon ihre Vorfahren gelebt haben. Der 58-Jährige Berufsschullehrer Manfred Huchthausen wohnt in dem Dorf Förste, der 48-Jährige Uwe Lange im Nachbardorf Nienstedt. Beide Orte liegen im Landkreis Osterode in unmittelbarer Näh der Lichtensteinhöhle. Dort hatten Archäologen vor einigen Jahren insgesamt 40 Skelette von Bronzezeitmenschen gefunden, die Höhle gilt seitdem als ein der bedeutendsten urgeschichtlichen Fundstätten in Mitteleuropa.

Die Zähne und Knochen der Skelett waren so gut erhalten, dass die Forscher vom Institut für Anthropologie in Göttingen nicht nur genetische Fingerabdrücke der einzelnen Individuen erstel len, sondern auch die verwandtschaftlichen Beziehungen über drei Generationen nachweisen konnten. Mit den aktuellen Gentests konnten sie nun die Verwandtschaftslinie über mehr als 100 Generationen nachzeichnen. Die beiden jetzt ermittelten Nachfahren stammen von zwei Bronzezeitmenschen ab, denen die Forscher die Bezeichnungen "M1" und "M2" gegeben hatten. Bei ihnen handelt es sich um einen Mann, der im Alter von knapp 60 Jahren gestorben ist und dessen Sohn, der zwischen 50 und 55 Jahre alt wurde. Ihre beiden Nachfahren haben ein DNA-Muster, das bisher nirgendwo sonst auf der Welt aufgetaucht ist - außer bei diesen beiden Skeletten aus der Höhle.

Manfred Huchthausen hatte den Gentest als "interessierter Einwohner" und aus heimatkundlichem Interesse mitgemacht. Er war völlig verblüfft, als er die Mitteilung erhielt, dass er von den Südharzer Bronzezeitmenschen abstammt. "Ich konnte es gar nicht glauben", sagt der Berufsschullehrer. Das Ergebnis lasse darauf schließen, dass seine Vorfahren über die Jahrtausende hinweg in der Region geblieben sind. "Es muss also sehr schön sein bei uns", schmunzelt der 58-Jährige. Auch heute noch hätten dörfliche Gemeinschaft Traditionen und Feste einen hohen Stellenwert. Vermutlich habe dies dazu beigetragen, dass seine Familie so ortstreu gewesen sei. Er selbst hat seine Heimat nur während des Studiums verlassen - dann kam er wieder zurück und blieb.

Uwe Lange hat auch aus einem besonderen Grund bei dem Gentest mitgemacht: Zwischen den Südharzer Dörfern gibt es immer einige kleine Rivalitäten. "Ich wollte beweisen, dass die Menschen in der Höhle keine Förster, sondern Nienstedter waren", lacht der 48-Jährige. Er kann indes auch gut damit leben, dass in beiden Orten Nachfahren gefunden wurden. "Es ist ein Wunder der Technik, dass sich heute überhaupt so etwas nachweisen lässt." Als er die Mitteilung erhielt, dass er zu den Nachfähren gehört, musste er sich erst mal setzen. "Dann habe ich einen Spaziergang gemacht, um das zu verdauen." Er sei stolz auf diese lange Tradition, aber auch nachdenklich. "Ich möchte mehr darüber erfahren, wie diese Urahnen gelebt haben."

Diese Möglichkeit gibt es ab der kommenden Woche: Am 11. Juli wird im nahe gelegenen Bad Grund ein Höhlenerlebniszentrum eröffnet. In dem mehrteiligen Museumskomplex werden die Ergebnisse der Erforschung der Lichtensteinhöhle vorgestellt und die Lebenswelt der Bronzezeitmenschen präsentiert. Auch die heutigen Verwandten tauchen dort auf: Am Sonntag hat ein Kamerateam in Förste einige Szenen mit den Nachfahren der Bronzezeitmenschen gefilmt, die in dem neuen Museum gezeigt werden sollen.

Mehr Informationen unter www.hoehlenerlebnis-zentrum.de

 
     
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